Diskriminierung im Zusammenhang mit dem Wohnsitz

Beispiel: Eine jenische Familie ist in keiner Gemeinde angemeldet. Die Familie hat keinen festen Winterstandplatz und verbrachte in den letzten Jahren den Winter jeweils an unterschiedlichen Orten. Die fehlende Anmeldung führt zu Problemen mit Behörden, da sich keine Gemeinde für die Familie als zuständig erachtet. Ebenso kommt es aufgrund der unklaren Lage zu Schwierigkeiten mit Versicherungen.

Der Wohnsitz ist massgeblich, wenn es darum geht zu bestimmen, welche Gemeinde oder welcher Kanton für staatliche Leistungen zuständig ist. Deshalb ist es sehr wichtig, einen Wohnsitz zu haben bzw. bei einer Gemeinde angemeldet zu sein.

Der Umstand, dass Fahrende keinen dauerhaften Aufenthaltsort aufweisen, erschwert die Festlegung des Wohnsitzes. Das kann dazu führen, dass die angefragte Behörde ihre Zuständigkeit bestreitet, was Auswirkungen auf ganz unterschiedliche Lebensbereiche haben kann (Sozialversicherungen, Schule, Steuern usw.). Es gibt aber Regeln, die zuständige Behörde zu bestimmen, wenn sich Personen nicht dauerhaft am gleichen Ort aufhalten.

Gemäss dem Grundsatz der Niederlassungsfreiheit haben Schweizerinnen und Schweizer das Recht, sich an jedem Ort des Landes niederzulassen (Art. 24 BV). Der zivilrechtliche Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Solange eine Person noch keinen neuen Wohnsitz begründet, bleibt der frühere Wohnsitz bestehen. Besteht kein fester Wohnsitz oder ist dieser nicht nachweisbar, so gilt der Aufenthaltsort als Wohnsitz (Art. 23 ZGB und Art. 24 ZGB). Fahrende haben nach den allgemeinen Regeln ihren Wohnsitz an dem Standort, wo sie üblicherweise den Winter verbringen.

Wohnsitz und Sozialhilfe

Der Bedürftige hat seinen Wohnsitz (Unterstützungswohnsitz) in dem Kanton, in dem er sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Dieser Kanton wird als Wohnkanton bezeichnet (Art. 4 Abs. 1 ZUG). Der Wohnkanton ist für die Unterstützung zuständig (Art. 12 Abs. 1 ZUG). Hat der Bedürftige keinen Unterstützungswohnsitz, so wird er vom Aufenthaltskanton unterstützt (Art. 12 Abs. 2 ZUG).

Wohnsitz und AHV und IV

AHV-Beiträge sind bei der Ausgleichskasse am zivilrechtlichen Wohnsitz zu entrichten. Besteht kein aktueller oder früherer Wohnsitz (z.B. an einem Winterstandplatz), so erfolgt die Anmeldung für die Beitragszahlungen bei der Ausgleichskasse des Kantons der Heimatgemeinde.

Für die Auszahlung von AHV- und IV-Renten ist die kantonale Ausgleichskasse bzw. die IV-Stelle des Wohnsitzkantons zuständig. Es kommen die Vorschriften über den zivilrechtlichen Wohnsitz zu Anwendung. Der Wohnsitz von Fahrenden besteht an dem Standort, wo sie üblicherweise den Winter verbringen. Ein einmal begründeter Wohnsitz bleibt bestehen, solange noch kein neuer Wohnsitz begründet worden ist. Besteht kein fester Wohnsitz oder ist dieser nicht nachweisbar, so ist die Ausgleichskasse bzw. die IV-Stelle am Aufenthaltsort zuständig.

Wohnsitz und Ergänzungsleistungen

Die Zuständigkeit liegt bei der Ausgleichskasse des Kantons, wo sich die Person den Winter über aufhält.

Ein einmal begründeter Wohnsitz bleibt bestehen, solange noch kein neuer Wohnsitz begründet worden ist. Besteht kein fester Wohnsitz oder ist dieser nicht nachweisbar, so ist die Ausgleichskasse am Aufenthaltsort zuständig.

Wohnsitz und Schule

Kinder von Fahrenden gehen an dem Ort zur Schule, an dem sich die Familie den Winter über aufhält (Diskriminierung im Schulwesen).

Politischer Wohnsitz

Die Stimmabgabe erfolgt am politischen Wohnsitz, also in der Gemeinde, wo der Stimmberechtigte wohnt und angemeldet ist. Fahrende, die keinen festen Wohnsitz haben oder bei welchen die Wohnsitzfrage noch nicht geklärt ist, stimmen in ihrer Heimatgemeinde ab (vgl. Art. 3 Abs. 1 BPR).

Wohnsitz und Steuern

Eine Person hat ihren steuerrechtlichen Wohnsitz dort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält, also an dem Ort, wo sich der Mittelpunkt der persönlichen Lebensinteressen der Person befindet. Die Hinterlegung der Ausweisschriften ist ein äusseres Merkmal, das ein Indiz für das Steuerdomizil bilden kann, wenn auch das übrige Verhalten der steuerpflichtigen Person dafür spricht. Bei Fahrenden ist es naheliegend, den Winterstandort als steuerrechtlichen Wohnsitz zu begründen. Besteht kein etablierter Wohnsitz, so lässt sich dieser allenfalls klären, indem als erstes der steuerrechtliche Wohnsitz geregelt wird.

Wohnsitz und Immatrikulation von Fahrzeugen

Im Strassenverkehr kann es zu unterschiedlichen Zuständigkeiten kommen. Für die Fahrzeugführer (Halter) ist der Wohnsitzkanton zuständig. Für das Fahrzeug hingegen ist derjenige Kanton zuständig, in dem sich der Standort des Fahrzeugs befindet.

Als Standort des Fahrzeuges gilt der Ort, wo es in der Regel nach Gebrauch für die Nacht abgestellt wird. Bei Fahrzeugen, die in verschiedenen Kantonen verwendet werden, und in jedem davon weniger als neun Monate nacheinander, gilt ersatzweise der Wohnsitz des Halters als Standort. Das ist bei Fahrenden in der Regel der Fall.

Wo Fahrende ihren Wohnsitz haben (2012), Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende.