Beispiel: Die Eltern einer tamilischen Schülerin stellen ein Gesuch um Dispens ihrer Tochter vom Schulunterricht für das hinduistische Lichterfest Deepavali (auch Diwali). Die Schulleitung lehnt das Gesuch ab.
Staatliche Schulen sind an die konfessionelle Neutralität gebunden und haben die Glaubens- und Gewissensfreiheit zu respektieren (Art. 15 BV). Dies bedeutet einerseits, dass Schülerinnen und Schüler nicht auf eine unzumutbare Weise mit einer offiziellen (schulischen) Religion konfrontiert werden dürfen («negative Religionsfreiheit»). Andererseits haben sie das Recht, ihre religiösen Gewohnheiten auszuleben, soweit dies den schulischen Betrieb nicht stört und das Recht der Mitschülerinnen oder -schüler auf angemessenen Grundschulunterricht nicht beeinträchtigt («positive Religionsfreiheit»). Ein Eingriff in die Religionsfreiheit bedarf einer gesetzlichen Grundlage, muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. Welche Interessen überwiegen, muss jeweils im Einzelfall abgewogen werden.
Religiös geprägte Privatschulen dürfen die Aufnahme an das Kriterium der Religion knüpfen. Eine Ablehnung einzig oder überwiegend aus Gründen der «Rasse» oder Ethnie stellt jedoch eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung dar (Art. 28 ZGB).
Erläuterung
Art. 28 ZGB – Schutz der Persönlichkeit – Gegen Verletzungen – Grundsatz
1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.2 Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.
Kommentar
Art. 28 ZGB schützt sowohl natürliche als auch juristische Personen vor persönlichkeitsverletzenden Äusserungen oder Handlungen durch Dritte. Unter dem Begriff der Persönlichkeit wird die Gesamtheit der individuellen Grundwerte einer Person verstanden. Geschützt wird sowohl die Existenz («Dasein») als auch die individuelle Besonderheit («Sosein»).
Verletzt werden können die physische Persönlichkeit, die emotionale oder psychische Persönlichkeit, die soziale Persönlichkeit (etwa Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung), die Ehre oder die wirtschaftliche Persönlichkeit.
Damit eine Persönlichkeitsverletzung im Sinne von Art. 28 ZGB vorliegt, muss der Eingriff eine gewisse Intensität aufweisen. Die Persönlichkeitsverletzung muss ausserdem widerrechtlich (d.h. nicht gerechtfertigt) sein. Mögliche Rechtfertigungsgründe sind zum Beispiel die Einwilligung der betroffenen Person oder die Wahrung höherwertiger privater oder öffentlicher Interessen (z.B. das öffentliche Informationsinteresse). Als Erstes wird also die Frage gestellt, ob überhaupt eine Persönlichkeitsverletzung im Rechtssinne vorliegt, und als Zweites, ob allenfalls Rechtfertigungsgründe für die fragliche Persönlichkeitsverletzung vorliegen. Ein Verschulden seitens der beklagten Partei wird jedoch nicht vorausgesetzt.
Zur Klage berechtigt sind nur Personen, die unmittelbar in ihrer Persönlichkeit verletzt sind. Sie können verlangen, dass die Persönlichkeitsverletzung unterlassen, festgestellt oder beseitigt wird (Art. 28a Abs. 1 Ziff. 1–3 ZGB). Weiter können sie fordern, dass eine Berichtigung der diskriminierenden Äusserung oder gegebenenfalls ein Urteil gegen die beklagte Partei veröffentlicht wird. Die Publikation soll wenn möglich dasselbe Publikum erreichen wie die verletzende Äusserung. Bei persönlichkeitsverletzenden Medienbeiträgen besteht unter Umständen auch ein Anspruch auf eine Gegendarstellung (Art. 28g ZGB).
Art. 328 OR regelt den speziellen Persönlichkeitsschutz im Arbeitsverhältnis.
Erläuterung
«Rasse»
Als soziale Konstruktionen werden «Rassen» nicht nur mittels äusserlicher Merkmale, sondern auch aufgrund angenommener kultureller, religiöser oder herkunftsmässiger Unterschiede konstruiert. Dabei werden zum Beispiel bestehende sozio-ökonomische Ungleichheiten mit der ethnischen, kulturellen oder religiösen Zugehörigkeit als biologisch gegeben «erklärt».
Im Gegensatz zum angelsächsischen Sprachraum ist der Begriff der „Rasse“ im kontinental-europäischen Sprachraum als rassismusbegründendes Konstrukt verpönt und deshalb auch meist mit Anführungszeichen versehen. Der Begriff ist jedoch in internationalen Vertragswerken verankert und wird deshalb auch in [POPUP144]Art. 8 BV und [POPUP145]Art. 261bis StGB zur Bezeichnung eines Merkmals verwendet, aufgrund dessen nicht diskriminiert werden darf.
Die religiösen Bedürfnisse spielen in der Schule namentlich bei der Dispensierung von bestimmten Schulfächern oder Lageraufenthalten, an religiösen Feiertagen, bei Kleidervorschriften oder bei der Ausübung religiöser Pflichten eine Rolle. In Lehre und Rechtsprechung ist anerkannt, dass Schülerinnen und Schülern das Tragen religiöser Kleidung oder religiöser Symbole grundsätzlich nicht untersagt werden darf (vgl. dazu BGE 142 I 49). Anderes gilt für Lehrpersonen: Sowohl das Bundesgericht als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sind der Ansicht, dass das Recht von Schülerinnen und Schülern, in einer öffentlichen Schule eine religionsneutrale Bildung zu erhalten, höher zu gewichten sei als das Recht von Lehrpersonen, religiöse Kleidung oder religiöse Symbole zu tragen.
Vom Unterricht dispensiert werden Schülerinnen und Schüler namentlich für hohe Feiertage oder besondere Anlässe religiöser oder konfessioneller Art. Das Bundesgericht hat entschieden, dass muslimische Mädchen nicht aus religiösen Gründen vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht dispensiert werden müssen, soweit ihnen das Tragen eines Burkinis gestattet wird (Urteil 2C_1079/2012 vom 11. April 2013). Der obligatorische Schulunterricht habe grundsätzlich Vorrang vor der Einhaltung religiöser Vorschriften.
Weiterführende Informationen zur Bundesgerichtspraxis zum Dispens vom Schwimmunterricht.
Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK hat eine Publikation zum Thema „Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Schule: Rechtliche Grundlagen und Materialiensammlung“ veröffentlicht.
Es ist wichtig, dass Verstösse gegen einschlägige internationale Normen schon von Anfang an gerügt werden. Wird die Beschwerde von der letzten schweizerischen Instanz (in der Regel handelt es sich um das Bundesgericht) abgelehnt, so besteht die Möglichkeit, den Entscheid an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) oder an den UNO-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung (CERD) weiterzuziehen.
Erläuterung
Internationales Recht geltend machen
Ist die beschwerdeführende Person mit dem letztinstanzlichen Urteil (meist des Bundesgerichts) nicht einverstanden, so kann sie dieses unter gewissen Umständen an ein internationales Gericht weiterziehen. Im Fall von rassistischer Diskriminierung ist das primär der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) oder der UNO-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD).Um eine Beschwerde an den EGMR weiterziehen zu können, muss eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bereits bei der ersten nationalen Instanz vorgebracht werden und der innerstaatliche Instanzenzug muss erschöpft sein. Ein Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) kann ausserdem nicht alleine gerügt werden, sondern stets nur in Verbindung mit der Verletzung eines anderen Konventionsrechts, zum Beispiel des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) oder der Gedankens-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK). Demgegenüber kann ein Weiterzug an den CERD nach Erschöpfung des nationalen Instanzenzugs ohne vorherige Rüge einer ICERD-Norm erfolgen.